Kurztext:Am Anfang stand eine "große Idee", der Traum einer modernen griechischen Nation von gleicher Bedeutung wie das antike Byzanz. Vom ersehnten Großgriechenland blieb das bekannte Land mit der Hauptstadt Athen. Autor: Martin Trauner (BR 2016)
Credits
Autor dieser Folge: Martin Trauner
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Hemma Michel, Sven Hussok
Technik: Christiane Schmidbauer
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. Dr. Ioannis Zelepos, Byzantinist, LMU München
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK: C118397 006 (00‘07‘‘)
ZITATOR:
Provisorische Verfassung Griechenlands ...
MUSIK: C112782 016 (00‘19‘‘)
ERZÄHLERIN:
Epidauros auf der Peloponnes. Heute bekannt durch das bestens erhaltene antike Theater, in das 14.000 Zuschauer passen. Vor gut 200 Jahren Schauplatz für ein anderes Spektakel.
O-TON Ioannis Zelepos:
Am 1. Januar 1822 - der Krieg war noch nicht ein Jahr - da ist schon eine Verfassung erlassen worden.
MUSIK: C118397 006 (00‘07‘‘)
ZITATOR:
Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit ...
MUSIK: C112782 016 (00‘19‘‘)
ERZÄHLERIN:
67 griechische Revolutionäre sind nach Epidauros gekommen, um gemeinsam an einer Verfassung zu arbeiten. Mit im Gepäck haben sie eine Idee: ein freies, unabhängiges Griechenland.
MUSIK: C118397 015 (00‘27‘‘)
ZITATOR:
... Da die griechische Nation unter der schaudervollen osmanischen Herrschaft das höchst drückende und beispiellose Joch der Tyrannei nicht zu ertragen vermochte und es mit großer Aufopferung abgeschüttelt hat, so verkündigt sie heute durch ihre legitimen, in einer Nationalversammlung zusammengetretenen Repräsentanten vor dem Angesicht Gottes und der Menschheit ihre politische Existenz und Unabhängigkeit.
MUSIK: C112782 016 (00‘19‘‘)
O-TON Ioannis Zelepos:
Das ist die erste Revolutionsverfassung - davor gab's so Lokalverfassungen -, aber die erste, die wirklich den Vertretungsanspruch der Nation, also für den gesamten Aufstand auch erhebt -
MUSIK: C156186 001 (00‘32‘‘)
ERZÄHLERIN:
Sagt Ioannis Zelepos. Professor für Byzantinistik. Der Münchner Künstler Ludwig Schwanthaler verewigt Jahre später den heroischen Augenblick in einem Gemälde: Männer in griechischer Volkstracht mit Krummschwertern präsentieren feierlich ihren Verfassungsentwurf. Einziges Manko: Schwanthaler war nicht dabei. Aber die Szenerie passt halt so gut: Die Wiedergeburt Griechenlands in den antiken Überresten von Epidauros, vor dorischer Säulenkulisse ...
MUSIK ENDE
O-TON Ioannis Zelepos:
Die Örtlichkeit eignet sich gut für eine – also parlamentsartige Versammlung. Das ist ein Punkt. Und der zweite Punkt ist, dass die Argolis, wo das liegt, eigentlich dann das das Zentrum der Aufständischen schon relativ früh war. Also das heißt: Da kontrollierten Sie halt das Gebiet, und das Verwaltungszentrum – es gab noch keine – in diesem ersten Jahr – keine Hauptstadt – es war dann da auch schon.
ERZÄHLERIN:
Noch war Griechenland im Jahr 1822 weit entfernt davon, ein eigener, unabhängiger Staat zu sein. Die Aufständischen hatten zwar große Teile der Peloponnes und Mittelgriechenland unter ihre Kontrolle gebracht. Aber: Die europäischen Großmächte verweigerten einem neuen Staat ihre Anerkennung, und auch die Osmanen gaben sich noch lange nicht geschlagen.
MUSIK: C118397 015 (00‘07‘‘)
ZITATOR:
Alle Griechen sind gleich vor dem Gesetze, ohne irgend eine Ausnahme, oder Stufe, oder Klasse, oder Ansehen.
MUSIK: C112782 016 (00‘33‘‘)
ERZÄHLERIN:
Die Aufständischen präsentieren in Epidauros einen fortschrittlichen Verfassungsentwurf, ganz im Sinne der Aufklärung und der französischen Revolution. Einerseits, weil sie dadurch auf schnelle Akzeptanz durch europäische Intellektuelle hoffen, andererseits ist man sich der antiken Tradition bewusst und wählt als künftige Staatsform die Demokratie. Zwar legen sie von Anfang an fest, dass die herrschende Religion im griechischem Staate die der morgenländischen orthodoxen Kirche Christi sei, aber:
MUSIK: C118397 015 (00‘56‘‘)
ZITATOR:
Es duldet jedoch die Regierung von Griechenland jede andere Religion und die heiligen Gebräuche einer jeden derselben werden ungehindert ausgeübt.
ERZÄHLERIN:
Und man legt, nach Jahrhunderte langer Fremdherrschaft unter dem Halbmond auf rotem Tuch, die neuen Farben des Staates fest:
ZITATOR:
Die Farben der Nationalkokarde, der Flaggen des Meeres und der Fahnen des festen Landes werden so bestimmt: weiß und blau.
ERZÄHLERIN:
Das erste Dokument, in dem die griechischen Farben weiß und blau bestimmt werden. Und: Obwohl sich das Gerücht hartnäckig hält – es ist keine bayerische Erfindung ...
O-TON Ioannis Zelepos:
Und übrigens auch dadurch das erste offizielle Dokument dieser Art, wo sich die Aufständischen auch als Hellenen bezeichnen.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN:
Hellenen. Oder Griechen. Das Volk an der Ägäis nannte sich seit Jahrhunderten nicht mehr so. Seit den Zeiten des byzantinischen Reiches bezeichneten sie sich als "Rhomäer", als "Römer".
O-TON Ioannis Zelepos:
Das bezog sich auch auf das christliche Bekenntnis vor allem, was ein wichtiges Identitätsmerkmal war, dass man also Christ war, orthodoxer Christ vor allen Dingen. Während in diesem alten Sprachgebrauch Hellene eigentlich ein Synonym war für einen Heiden, also Nichtchristen. Aber das änderte sich dann im 18. Jahrhundert und wurde zu einer Selbstbezeichnung.
ERZÄHLERIN:
In der Verfassung von Epidauros nennt man sich nun Hellene. Und freier Hellene ist man nur, wenn man an den orthodoxen Christus glaubt und in Griechenland geboren wurde. Nur: Wo liegt eigentlich dieses Land der Hellenen, wo liegt Griechenland?
MUSIK: C112782 016 (00‘20‘‘)
ZITATOR:
Und an dem Ufer steh ich lange Tage
Das Land der Griechen mit der Seele suchend.
Und gegen meine Seufzer bringt die Welle
Nur dumpfe Töne brausend mir herüber ...
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN:
Johann Wolfgang von Goethe lässt seine Iphigenie auf der Insel Tauris sehnsuchtsvoll nach Griechenland blicken. Wo ihr gelobtes Land ist, weiß sie nicht. Das antike Tauris, so vermutete man früher, könne die Halbinsel Krim im schwarzen Meer gewesen sein. Und wie der Iphigenie in ihrem Exil ging es im 19. Jahrhundert vielen Griechen: Sie lebten als Kaufleute oder Gelehrte über halb Europa verteilt: als sogenannte Diaspora-Griechen ...
O-TON Ioannis Zelepos:
Im weiteren Raum des östlichen Mittelmeers, aber auch am Schwarzen Meer; im Nordosten Anatoliens, im Kaukasusraum, auf der Krim. Natürlich gab es auch ganz bedeutende Diaspora-Händlerkolonien in Mitteleuropa. Also das verteilt sich einigermaßen schon so dieses Siedlungsgebiet.
ERZÄHLERIN:
Aber auch im griechischen Kernland um die Ägäis lebten nicht nur christlich orthodoxe Griechen, sondern auch Katholiken, Juden und Muslime. Heute würde man sagen, das Land war multiethnisch und multikonfessionell. Und in diesem heterogenen Umfeld soll ein griechischer Staat entstehen? Ioannis Zelepos von der Universität München:
O-TON Ioannis Zelepos:
Also einen griechischen Staat in dem Sinne gab es ja eigentlich vor dem 19. Jahrhundert gar nicht. Und als der Unabhängigkeitskrieg begann, war der größte Teil dieses Gebietes eigentlich unter – gehörte zum Osmanischen Reich unter osmanischer Kontrolle. Ein ganz kleiner Teil gehörte zu Venedig noch. Das sind die Inseln ganz im Westen da im Ionischen Meer , fast am Eingang zur Adria. Aber eigentlich gehörte das zum Osmanischen Reich und zwar schon sehr viele Jahrhunderte auch: Denn die Osmanen hatten das Byzantinische Reich erobert im 15. Jahrhundert.
ERZÄHLERIN:
1453 fiel Konstantinopel in die Hände der Osmanen. Das war das Ende von Byzanz, vom Oströmischen Reich. Doch es kam nicht zu einem massenhaften Exodus der griechischsprachigen Bevölkerung. Schnell arrangierte sich die Orthodoxe Kirche mit den neuen Machthabern und beließ ihren Sitz in Konstantinopel. Der Patriarch war nach islamischem Recht nun nicht nur geistliches Oberhaupt, sondern auch der weltliche Führer des Millet-i-Rum, der "römischen Religionsgemeinschaft". Nochmals zur Erinnerung: Die Griechen hießen ja damals Römer.
MUSIK: C112782 004 (00‘52‘‘)
ZITATOR (Geografia Neoteriki):
Unter den Türken könnten die heutigen Griechen sehr glücklich leben, wegen vieler guter Dinge, die sie anderswo entbehren müssen.
ERZÄHLERIN:
1791, also nach über 300 Jahren osmanischer Herrschaft, beschreibt ein griechischer Geograph die Zustände im Land:
ZITATOR (Geografia Neoteriki):
Die Griechen könnten sehr glücklich leben, wenn zwei Dinge fehlen würden: das eine ist beiden gemein, das andere aber ist nur den Herrschenden zu eigen: Wenn der religiöse Hass fehlen würde, den die Griechen gegen die Türken und die Türken gegen diese hegen. Das andere ist die despotische Regierung ...
ERZÄHLERIN:
Über Jahrhunderte hatte das Millet-i-Rum-System ganz gut funktioniert. Und viele Griechen hatten sich trotz fremder Besatzung mit dem Sultan arrangiert ...
MUSIK ENDE
O-TON Ioannis Zelepos:
Das kann man eigentlich tatsächlich auch sagen. Es gab ja Eliten, die sich im Osmanischen Reich dann nicht nur finanziell sozusagen gut behaupten konnten, sondern auch in hohe Staatsämter gekommen waren. Auch die Amtskirche, also der hohe Klerus, der war bestens vernetzt eigentlich mit der Sultansherrschaft. Und eigentlich kann man tatsächlich sagen, dass auch in dem Gebiet, wo der Aufstand stattfand, in den Jahrzehnten vorher eigentlich ein Wirtschaftsaufschwung stattfand. Denen ging es sogar eher besser als hundert Jahre zuvor. Aber ...
ERZÄHLERIN:
Aber trotzdem wächst die Unzufriedenheit. Das untergehende Osmanische Reich lässt immer höhere Steuern eintreiben und auch die Glaubenskonflikte zwischen Muslimen und Christen nehmen zu. Die einfache Bevölkerung auf dem Land bekommt von dem Wirtschaftsaufschwung wenig mit.
O-TON Ioannis Zelepos:
Die Idee, dass man doch jetzt mit einem eigenen Staat weiter kommt, besser vorankommt, die griff dann um sich.
ERZÄHLERIN:
Sagt Ioannis Zelepos, Verfasser einer "Kleinen Geschichte Griechenlands".
O-TON Ioannis Zelepos:
Ganz starke Impulse für diese Bewegung kommen eigentlich aus dem Bereich dieser Diaspora-Gemeinden: namentlich aus Paris, aus Wien, aus Odessa. Da bildeten sich so die ersten Zentren. Da gibt es dann ein intellektuelles Milieu sozusagen von Griechen, die diese Idee aufgreifen, dass man sich organisiert, dass man einen Aufstand organisiert.
MUSIK: priv. CD „Tin Ora Pou Axionomai“ aus „I Ellada Tou Riga“ (01‘22‘‘)
ZITATOR (Ioannis Makrygiannis):
Die Gegend, wo ich geboren bin, ist bei Lidoriki, ein Dorf in der Gegend von Lidoriki, genannt Avoriti, fünf Hütten.
ERZÄHLERIN:
Ioannis Makrygiannis, geboren 1797 in einem kleinen Ort in Mittelgriechenland, beginnt mit 32 Jahren, seine Erinnerungen aufzuschreiben.
ZITATOR (Ioannis Makrygiannis):
Ich kann ein wenig schreiben, obwohl ich niemals in die Schule gegangen bin, da ich nie die Gelegenheit dazu hatte.
ERZÄHLERIN:
Makrygiannis durchläuft den griechischen Unabhängigkeitskrieg von Anfang bis zum Ende in allerlei Posten. Als Guerillero, als General und als Politiker. Er kommt aus einfachsten Verhältnissen.
ZITATOR (Ioannis Makrygiannis):
Meine Eltern waren sehr arm; an ihrer Armut war die Raubgier der ortsansässigen Türken schuld ...
ERZÄHLERIN:
Schon als Jugendlicher gelangt er mit einem selbst aufgezogenen Getreidehandel zu Geld. Er kauft sich ein silberbeschlagenes Gewehr und andere Waffen. Und er kommt in Kontakt mit neuen, geheimnisvollen Kreisen …
ZITATOR: (Ioannis Makrygiannis)
Ich hatte einen Freund, einen Priester. Und ich war eng mit ihm befreundet, und er war besser zu mir als zu seinen eigenen Kindern. Er wollte mich in das Geheimnis der Hetaireia einweihen
ERZÄHLERIN:
Das Geheimnis der Hetaireia?
O-TON Ioannis Zelepos:
Die Gesellschaft der Freunde oder auf Griechisch: Filiki Hetaireia.
MUSIK: C112782 016 (00‘58‘‘)
ERZÄHLERIN:
Die Gesellschaft der Freunde wurde weit weg von Griechenland 1814 im russischen Odessa gegründet. Von einigen Diaspora-Griechen. Ein Geheimbund in Anlehnung an die Freimaurerlogen. Einziges Ziel der Filiki Hetaireia: Befreiung des Vaterlands. Viele Mitglieder hatten die verschwörerischen Freunde wohl nicht, aber:
O-TON Ioannis Zelepos:
Sie konnten doch den Eindruck vermitteln an ihre Adressaten, dass da eine große Organisation ist. Und dann verbreiteten sie auch das Gerücht, dass dahinter eigentlich der Zar von Russland sogar steht. Das heißt, wer da angeworben wurde, der hatte dann das Gefühl, aha, wir haben hier so eine Organisation. Das mochte gar nicht stimmen n Wahrheit, aber das führte dazu, dass dann doch die Bereitschaft, so einen Aufstand zu machen, anstieg.
+ MUSIK: C112782 015 (00‘12‘‘)
ZITATOR: (Ioannis Makrygiannis)
Ich überlegte mir alles und hielt mir alles vor Augen: Tod, Gefahren und Kämpfe, die ich alle für die Freiheit meines Vaterlandes und meiner Religion erdulden werde.
MUSIK: priv. CD „O Thourios Tou Riga“ aus „I Ellada Tou Riga“ (00‘51‘‘)
ZITATOR (Rigas Thourios):
Wie lange, meine Helden, sollen wir in Fesseln leben, allein wie Löwen auf Kämmen und Gipfeln ...
ERZÄHLERIN:
Das Revolutionslied "Thourios" von Rigas Velestinlis. Er war einer der Vordenker des griechischen Aufstandes.
ZITATOR (Rigas Thourios):
… Lieber eine Stunde in Freiheit leben als 40 Jahre in Sklaverei!
ERZÄHLERIN:
Den Beginn des Aufstandes auf der Peloponnes am 25. März 1821 erlebt Rigas Velestinlis nicht mehr. 1797 wurde er von den Osmanen wegen seiner revolutionären Schriften hingerichtet.
ZITATOR (Rigas Thourios):
Allein nur mein Leichnam wird sterben, mein Geist wird mich überleben, denn er hat schon alle Herzen der Griechen durchdrungen.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN:
Ob der griechische Aufstand wirklich genau am 25. März 1821 begonnen hat, mag bezweifelt werden. Aber es ist der christliche Feiertag "Mariä Verkündigung" und so hat das Datum durchaus symbolischen Charakter. Es war ein Aufstand der Christen gegen ihre muslimischen Besatzer.
O-TON Ioannis Zelepos:
Man dachte eigentlich sogar an einen allgemeinen Aufstand gegen den Sultan, zumindest in dem von orthodoxen Christen bewohnten Teil des osmanischen Reiches, slso sogar im heutigen Bulgarien, Serbien, Rumänien. Man dachte, dass das also eine viel, viel größere Angelegenheit werden würde. Und so hat ja auch der erste Anbeginn dieses Aufstandes nicht in Griechenland stattgefunden, sondern im heutigen Rumänien.
ERZÄHLERIN:
Die Unruhen in Rumänien werden vom Sultan schnell niedergeschlagen. Aber in Griechenland entbrennt ein mehrjähriger Krieg, mit Massakern auf osmanischer und griechischer Seite. Zwar gelingt es den Griechen relativ schnell, die Osmanen zu vertreiben. Aber nun geraten die griechischen Aufständischen in einen Bürgerkrieg: Uneins, wie die Machtverteilung im neuen Staat aussehen soll, kämpfen alte Eliten gegen neue Machthaber, kämpfen Insulaner gegen Festland-Griechen. Und kein Frieden in Sicht. Weder im Inneren noch im Äußeren.
O-TON Ioannis Zelepos:
Dann kam zwei, drei Jahre später dieses Expeditionskorps aus Ägypten. Ägypten gehörte noch nominell zum Osmanischen Reich, war aber formal unabhängig, und die Ägypter die schickten da also wirklich eine modern ausgerüstete Armee. Das war die Absprache: Der Sultan versprach den Khediven in Ägypten: Wenn ihr uns helft, bekommt ihr die Insel Kreta und die Peloponnes. Und – also gegen die konnten die schon nicht mehr sehr viel ausrichten die Aufständischen.
ERZÄHLERIN:
Im Februar 1825 landet das ägyptische Heer auf der Peloponnes. Ein Jahr später stehen sie vor Athen und belagern die Akropolis. Die Griechische Revolution scheint am Ende.
MUSIK: C112782 012 (00‘55‘‘)
ZITATOR (Aufruf der Philhellenen):
Noch steht die griechische Nation aufrecht! Noch kämpft sie tapfer und unermüdet für Dinge, die dem Menschen überhaupt das Heiligste und Teuerste sind, und ewig bleiben werden!
ERZÄHLERIN:
Münchner Philhellenen rufen zu Spenden für den griechischen Unabhängigkeitskrieg auf. Schon von Anfang an begleiten Philhellenen aus ganz Europa die Revolutionäre mit wohlwollenden Publikationen und Geldgaben.
ZITATOR (Aufruf der Philhellenen):
Trotz aller erlittenen Drangsale, trotz all dem glänzen die Unglücklichen dennoch durch Taten, die dem Heroismus des alten Hellas in nichts nachstehen! Hoffen wir getrost, dass die neuen Hellenen, mit der Hilfe Gottes, sich vom Joch der Türken befreien werden, wie ihre großen Vorfahren sich vom Druck der Perser befreit haben.
ERZÄHLERIN:
Eigentlich saßen die Philhellenen einem Missverständnis auf (MUSIK ENDE): Die europäischen Griechenfreunde hofften auf die Wiedergeburt des antiken Griechenlands mit einem glänzenden Athen als Hauptstadt, die Revolutionäre allerdings dachten wohl mehr an einen christlich-orthodoxen Staat mit dem Zentrum Konstantinopel: Doch davon ist man weit entfernt: Athen ist noch ein kleines Bauerndorf mit einer alten Akropolis. Und Konstantinopel heißt Istanbul. Aber den Philhellenen gelingt es, den griechischen Aufstand einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und sie zu mobilisieren. Viele junge Männer aus Deutschland und England melden sich als Freiwillige für den Krieg gegen die Türken.
O-TON Ioannis Zelepos:
Ja, und das führte letztlich dazu auch – oder hing damit zusammen, dass dann wirklich die europäischen Großmächte eingriffen. Und zwar nicht nur diplomatisch, sondern auch militärisch. Und das ist eigentlich dann der Schlüssel dafür gewesen, dass dieser eigentlich militärisch schon gescheiterte Aufstand dann letztlich politisch zum Erfolg wurde. Also konkret: England, Frankreich und Russland.
ERZÄHLERIN:
Eigentlich hegen Engländer, Franzosen und Russen völlig unterschiedliche Interessen in Griechenland. Jeder von ihnen will sich seinen Einfluss im künftigen Staate Griechenland sichern. Doch gegen die ägyptische Invasionsflotte schließen sie sich zusammen. Mit einem gemeinsamen Geschwader vernichten sie die Flotte von Ibrahim Pascha. Am 20. Oktober 1827 in Navarino. Es war die letzte Seeschlacht des Segelschiffzeitalters. David Urquhart, schottischer Reisender und natürlich Philhellene, wird Augenzeuge:
MUSIK: C118397 003 (00‘44‘‘)
ZITATOR (David Urquhart):
Man hörte noch bis Sonnenuntergang ein unregelmäßiges Kanonenfeuer mit geringen Unterbrechungen. Der Wind hatte sich gelegt und ein Vorhang von Rauch verhüllte den Schauplatz, auf den alle Aufmerksamkeit gewendet war. Aber als die Sonne sank, als die Nacht ihren dunklen Mantel ausbreitete, da glänzte hell die Flamme von elf brennenden Schiffen durch das Leichentuch der Wolken und spiegelte sich in den Wellen. Das war ein denkwürdiger Tag für Griechenland, ja für Europa.
ERZÄHLERIN:
Griechenland ist von den Osmanen befreit, aber immer noch nicht einig und immer noch kein von den Großmächten anerkannter Staat (MUSIK ENDE). Während England, Frankreich und Russland in Hinterzimmern über das Schicksal Griechenlands verhandeln, wählt eine hellenische Nationalversammlung den ersten Regenten: Ioannis Kapodistrias. Ein erfahrener Diplomat und ehemaliger Staatssekretär in russischen Diensten. Der stand Anfangs der griechischen Unabhängigkeitsbewegung skeptisch gegenüber, doch nun beginnt er mit großem Elan, Griechenland zu modernisieren.
O-TON Ioannis Zelepos:
Ein bekanntes Beispiel ist der Kartoffelanbau: Die Kartoffel, die war völlig unbekannt in Griechenland, die wurde von Kapodistrias eingeführt. Das ist wichtig. Überhaupt hat er die Landwirtschaft gefördert, er hat sogar eine Landwirtschaftsschule gegründet, eine eigene Währung, Grundlagen eigentlich der staatlichen Verwaltung.
ERZÄHLERIN:
Doch Kapodistrias scheitert an seinen Landsleuten. Als Modernisierungsdiktator wird er empfunden, als Tyrann. Nach vier Jahren Regentschaft kommt es im äußersten Süden der Peloponnes, auf der Mani, zu einer Revolte gegen Kapodistrias. Er lässt den Aufstand niederschlagen und verhaftet den Anführer. Aus Rache wird Kapodistrias von dessen Familie ermordet.
O-TON Ioannis Zelepos:
Aber trotz allem kann man schon sagen, dass Kapodistrias in vieler Hinsicht wirklich Grundlagen gelegt hat. Vieles davon wurde dann ein paar Jahre später umgesetzt auch, als die Unabhängigkeit beschlossen wurde, von den Bayern.
MUSIK: C112782 004 (01‘10‘‘)
ZITATOR (Ioannis Makrogyannis):
Heute wird das Vaterland neu geboren, es steht von den Toten auf, da es so lange verloren und ausgelöscht war.
ERZÄHLERIN:
Während Griechenland nach dem Tod von Kapodistrias wieder in Anarchie und Bürgerkrieg verfallen war, einigten sich Russland, Frankreich und England darauf, eine Erbmonarchie einzurichten.
ZITATOR: (Ioannis Makrogyannis)
Heute werden die Kämpfer wieder zum Leben erweckt, die Politiker, der Klerus, die Soldaten, weil unser König eingetroffen ist, den wir mit Gottes Hilfe bekommen haben.
ERZÄHLERIN:
Der König, der am 6. Februar 1833 in der griechischen Hauptstadt Nafplio eintrifft: Er ist ein Wittelsbacher. Es kommt der noch minderjährige Otto, Sohn vom bayerischen König Ludwig I. Ioannis Makrygiannis, Freiheitskämpfer der ersten Stunde, begrüßt ihn:
ZITATOR (Ioannis Makrogyannis):
Und ich sagte zum König: "Wir haben die Pflicht, Dich zu hören und dich mit unserem Leben zu beschützen und Deine Majestät soll Deine Gerechtigkeit über unser Unglück breiten. Es lebe der König und unsere Wohltäter, die Mächte." Dann ging ich.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN:
Otto will - ganz im Sinne seines Vaters - aus dem neu entstandenen Griechenland ein Musterkönigreich bauen. Immer das antike Griechenland im Blick, aber natürlich mit einem Herrscher von Gottes Gnaden. Er bestimmt Athen als Hauptstadt, lässt sie von seinen Architekten neu errichten. Er lässt die von Kapodistrias initiierten Reformen durchführen, gründet eine Universität und führt sogar das bayerische Reinheitsgebot für Bier ein. - Und trotzdem: Auch er scheitert nach immerhin 30-jähriger Regentschaft am griechischen Freiheitswillen (MUSIK: priv. CD „Greek Folk Tune” aus „Greek Enlightenment“ [00‘40’‘]). - Philhellene blieb er.
O-TON Ioannis Zelepos:
Ich hab gelesen, dass der, als der nachher ins Exil geschickt wurde, dass er also nicht nur immer in griechischer Tracht auch alltäglich sich bewegt hat, sondern auch Griechisch gesprochen hat. Also der war ganz ohne Zweifel auch ein griechischer Patriot.
ERZÄHLERIN:
Das war also die Gründung des modernen Griechenlands. Zur Ruhe gekommen sind die Griechen in ihrem neuen Staat damit zwar noch lange nicht …
ZITATOR:
… aber das ist ein anderes Drama.
Clausewitz reloaded - Die Philosophie und der Krieg
Ein Freistaat unter Strom - Bayerns Hunger nach Energie
Normalität - Was ist das überhaupt?
Schwaben- und Hütekinder - Schwerstarbeit statt Schule
Die Zeit der Schlafgänger - Die große Wohnungsnot um 1900
Intelligenter Oktopus - Gehirn im ganzen Körper
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