Meinen heutigen Gast habe ich ebenfalls schon länger auf meiner Wunschliste und es hat mich gefreut, dass er auch sofort zugesagt hat! Erich Prem ist nicht nur Vertreter des "digitalen Humanismus" (DH) — das Thema der heutigen Episode — sondern ein breit gebildeter, interdisziplinärer Denker, wie in dieser Episode deutlich werden wird.
Er ist in seiner Erstausbildung Computerwissenschafter, der sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigt. Er hat am ÖFAI in Wien am sogenannten Symbol Grounding Problem gearbeitet und am MIT in den USA an verhaltensbasierter Robotik. Er leitet seit über zwei Jahrzehnte ein strategisches Technologieberatungsunternehmen, Eutema, in Wien, das neben der EU Kommission auch Ministerien und Universitäten berät.
Er beschäftigt sich als Philosoph — seiner Zweitausbildung — mit komplizierten Fragen an der Schnittstelle von Ethik, Digitalisierung und Technologiepolitik.
Neben vielen anderen Publikationen ist er Mitherausgeber des jüngst erschienen Buches »Perspectives of digital humanism«. Er unterrichtet Digitalen Humanismus an der TU-Wien und Datenethik an der Universität Wien.
In dieser Episode beginnen wir mit der Frage, wie unsere tägliche interaktion mit digitalen Geräten tatsächlich aussieht und wie wir uns das eigentlich wünschen würden. Wie verändert sich die Arbeitswelt? Wie gehen junge Menschen mit digitalen sozialen Räumen um?
Welche Rolle spielen digitale Technologien im geopolitischen und ökonomischen Sinne auch für Europa? Denken wir an Überwachung, langfristige Absicherung wesentlicher Technolgien.
Dann setzen wir uns mit dem relativ neuen Begriff des »digitalen Humanismus« etwas konkrete auseinander: Was ist Humanismus? Was ist die Rolle des Menschen, vom Menschenbild des alten Griechenlands über klassische Bildungsideale zur heutigen Zeit. Spielt Humanismus heute überhaupt noch eine Rolle und sollte er eine Rolle spielen?
Was ist nun der DH und warum braucht es diesen neuen Begriff? Die Kritik von Adorno und Horkheimer am Humanismus wird im DH aufgenommen und Freiheit, Menschenrechte — liberale, westliche Werte verankert, bei einigen Vertretern ist auch eine starke Kapitalismuskritik zu finden, sowie Hinweis zum Überwachungskapitalismus.
Allerdings betont Erich, dass das Individuum nicht alleine im Zentrum stehen darf, sondern sich immer in Reflexion mit der Gesellschaft befindet. Denn digitale Technologien sind auch Machtinstrument und bedürfen politischer und gesellschaftspolitischer Debatte um die Frage zu beantworten: wer formt »das Digitale« eigentlich, wem nutzt es?
Dann diskutieren wir die unterschiedliche Wahrnehmung digitaler Technologien zwischen Kulturen und Nationen, etwa am Beispiel des Techniums von Kevin Kelly, europäischer Philosophie und der Globalisierung, sowie der Frage, woher eigentlich das Design von Technik stammt: top down, bottom up oder gar ungesteuert?
Eine Besonderheit des DH, auch als Abgrenzung anderer wissenschaftlicher Strömungen wie etwa der Technikfolgenabschätzung ist, dass DH von Informatikern geprägt ist, mit dem Anspruch, die Folgen der eigenen Technologie besser zu bestimmen. Dies geschieht nicht Technologie-feindlich, sondern in der Erkenntnis, dass wir uns in Frühzeit der Digitalisierung befinden, die in vielen Bereichen schlicht noch nicht gut genug ist, beziehungsweise falsche Wege eingeschlagen hat. Der DH nimmt also an, dass es kein Schicksal ist sondern nach gesellschaftlichen Vorstellungen Technik gestaltbar ist.
Ich stelle dann die Frage, ob wir nicht teilweise auf Medien-Hypes hereinfallen und die Bedrohungen möglicherweise gar nicht so groß sind. Als Stichworte könnte man nennen: Social Score in China, Google Flue Trends oder Covid AI, und unterscheiden sich die rechtlichen Prinzipien in der analogen Welt wirklich so stark von der digialten, wie manchmal behauptet wird?
Auch wenn es hier und da Übertreibungen gibt, so erkennen wir doch zahlreiche Folgen der Digitalisierung, die sich mit dem Bild, den digitale Humanisten haben, nicht zur Deckung bringen lässt. Darf eine Person etwa auf ihre beobachtbaren Effekte reduziert werden — vor allem von der Vergangenheit in die Zukunft mit vielleicht anderen Kontexten? Wie sieht es mit dem Filtern und der Moderation von Inhalten auf Plattformen aus? Oder, was ist schlimmer: gute oder schlechte »künstliche Intelligenz«?
Einen Kritikpunkt des DH spreche ich noch an, nämlich die Frage des Anthtropozentrismus? Fokussiert sich der DH zu stark auf den Menschen? Was ist mit Nachhaltigkeit und anderen systemischen Fragen?
Zuletzt grenzen wir noch den Digitalen Humanismus vom ähnlich klingenden Begriff der Digital Humanities ab und, was wesentlicher ist, stellen die Frage, was unter Digitaler Souveränität zu verstehen ist: ist Souveränität das gleiche wie Autarkie? Was haben wir in Europa in dieser Hinsicht in den letzten Jahren übersehen, wie sollten wir politisch reagieren?
Referenzen
Andere Episoden
Erich Prem
fachliche Referenzen
097 — Der Untergang der Titanic
096 — Ist der heutigen Welt nur mehr mit Komödie beizukommen? Ein Gespräch mit Vince Ebert
095 — Geopolitik und Militär, ein Gespräch mit Brigadier Prof. Walter Feichtinger
094 — Systemisches Denken und gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Gespräch mit Herbert Saurugg
093 – Covid. Die unerklärliche Stille nach dem Sturm. Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann
092 — Wissen und Expertise Teil 2
091 — Die Heidi-Klum-Universität, ein Gespräch mit Prof. Ehrmann und Prof. Sommer
090 – Unintended Consequences (Unerwartete Folgen)
089 — The Myth of Left and Right, a Conversation with Prof. Hyrum Lewis
088 — Liberalismus und Freiheitsgrade, ein Gespräch mit Prof. Christoph Möllers
087 — Reflexionen über 2023
086 — Climate Uncertainty and Risk, a conversation with Dr. Judith Curry
085 — Naturalismus — was weiß Wissenschaft?
084 — (Epistemische) Krisen? Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann
083 — Robert Merton — Was ist Wissenschaft?
082 – Smart Communities, ein Gespräch mit Ulrich Ahle
081 — Energie und Ressourcen, ein Gespräch mit Dr. Lars Schernikau
080 — Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion
079 — Escape from Model Land, a Conversation with Dr. Erica Thompson
078 — Was ist in der Wurst? Podcasten im Zeitalter künstlich generierter Inhalte
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